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Schreker über Schreker

Erinnerungen

Den nachfolgenden Text hatte Franz Schreker auf einem undatierten Blatt unter der Überschrift "Erinnerungen" notiert - möglicherweise im Hinblick auf eine geplante aber nie ausgeführte Autobiographie. Der Auszug ist entnommen: Haidy Schreker-Bures, H. H. Stuckenschmidt, Werner Oehlmann, "Franz Schreker", Lafite [u.a.], Wien 1970.

Wien. Not und Hunger immerzu. Meine kleine Schwester stirbt. Mit 14 Jahren Auszug in die Welt. Ein kleines Zimmer im Schwarzen Adler in Döbling. Ich unterrichte im Lesen, Rechnen, Schreiben, nehme selbst Unterricht im Geigenspiel, Klavier, Orgel in der Böhmischen Musikschule. Spiele täglich um 7 Uhr früh die Messe. Gehalt 5 Gulden monatlich und freier Unterricht in der Musikschule.

Eine Fürstin nimmt sich meiner an [Anm.: die Fürstin Windischgrätz, eine Gönnerin seiner Mutter]. Ich komme ins Conservatorium. Geige, Musiktheorie. Ich gründe einen Verein, ein Orchester, einen Chor. Ich war schon sechzehn Jahre alt. Nehme Mutter und Geschwister zu mir. Verdiene bereits 30 Gulden. Das Schwerste ist überstanden. Man schlägt sich durch, ißt sich sonntags satt.

Mein Geigenspiel ist nicht berühmt. Ich komponiere "wild". Grauenhafte Oratorien und Orchesterstücke. Eines der letzteren, ich habe es nie gehört, wird vom Budapester Opernorchester - in London gespielt. Love Song hieß es dort. Ich war tatsächlich unentwegt verliebt und verlobt, besessen von dem Ewigkeitsgedanken der Liebe. Dies wurde mir von allen, selbst von meiner guten Mutter, etwas übelgenommen. Aber es war doch herrlich.

Ich bin bereits bei Robert Fuchs [österreichischer Komponist, 1847-1927, Lehrer auch von Gustav Mahler und Hugo Wolf]: Composition. Absolviere. Meine Prüfungsarbeit, ein Psalm, wird aufgeführt. Ein Jahr darauf, unerhörte Seligkeit, in den vornehmen Gesellschaftskonzerten unter [Ferdinand] Loewe [Löwe, 1865-1925, Mitbegründer des Wiener Konzertvereins]. Erster großer Erfolg. Sogar [Eduard] Hanslick [Wiener Kritikerpapst, Wagner-Gegner, Brahms-Befürworter] lobt in der Neuen Freien Presse. Ich werde gedruckt, verlegt. Mir selbst überlassen, als Komponist zunächst hilflos. Ich schreibe ein Streicherstück, es erhält einen Preis. Eine Ouvertüre: Pepi [Joseph] Hellmesberger [Komponist, Hofkapellmeister, 1900-1903 Leiter der Philharmonischen Konzerte] spielt sie im Philharmonischen. Bei dieser Gelegenheit hörte ich zum ersten Male dieses herrliche Orchester [die heutigen Wiener Philharmoniker]. Zu diesen Konzerten gab es damals nie Freikarten, und das Eintrittsgeld - unerschwinglich. Dazwischen ein mißglückter Operneinakter "Flammen".

Und immerzu verliebt, verlobt, abwechselnd. Damit zusammenhängend Halbheiten, Depressionen, Entwicklung, Lebensdurst, nicht immer die beste Gesellschaft. "La Casa di maschere" [Schreker meint möglicherweise Bordellbesuche oder ähnliches] und dergleichen, wie es eben in diesen jungen Jahren sich ergibt. Aber Eindrücke über Eindrücke, brausend, erschütternd, flammend, ruhelos; ein Greifen und Haschen nach fliehenden Dingen, immer voll Glauben, und immer aufs neue verdammt zu jagen, zu suchen und nicht zu finden: Frühlingssehnen. Alle Voraussetzungen für die Entstehung des "Fernen Klanges" waren gegeben.

Ich schreibe in schwerem Ringen um Technik und Gestaltung der "großen Oper" eindreiviertel Akte. Da stockt alles: Glaube an Berufung, Lebensglück, an die Frau. Von keiner Seite Ermutigung, Förderung, Hilfe. Ich will Dirigent werden. Bewerbe mich um den Posten eines Karlsbader Kurkapellmeisters. Vergeblich. Ich werde musikalischer Dramaturg an der Wiener Volksoper. Ein bitteres Jahr. Die Klimtsche Kunstschau bestellt eine Pantomime für die Wiesenthal [Grete W., 1885-1970, Tänzerin und Choreographin]: Geburtstag der Infantin [nach dem gleichnamigen Märchen von Oscar Wilde]. Ein Erfolg, ein Hoffnungsstrahl.

Mein Charakterbild

Franz Schrekers sarkastische Selbstcharakterisierung erschien im April 1921 in den Musikblättern des Anbruch der Wiener Universal Edition. Schreker hatte sie aus Rezensionen und Zeitungsberichten montiert.

Ich bin Impressionist, Expressionist, Internationalist, Futurist, musikalischer Verist; Jude und durch die Macht des Judentums emporgekommen, Christ und von einer katholischen Clique unter Patronanz einer erzkatholischen Wiener Fürstin »gemacht« worden.

Ich bin Klangkünstler, Klangphantast, Klangzauberer, Klangästhet und habe keine Spur von Melodie (abgesehen von so genannten kurzatmigen Floskeln, neuestens »Melodielein« genannt). Ich bin Melodiker von reinstem Geblüt, als Harmoniker aber anämisch, pervers, trotzdem ein Vollblutmusiker! Ich bin (leider) Erotomane und wirke verderblich auf das deutsche Publikum (die Erotik ist augenscheinlich meine ureigenste Erfindung trotz Figaro, Don Juan, Carmen, Tannhäuser, Tristan, Walküre, Salome, Elektra, Rosenkavalier u.s.f.).

Ich bin aber auch Idealist (Gott sei Dank!), Symboliker, stehe auf dem linkesten Flügel der Moderne (Schönberg, Debussy), stehe nicht ganz links, bin in meiner Musik harmlos, verwende Dreiklänge, ja sogar noch den ganz »trivialen« verminderten Septakkord, lehne mich an Verdi, Puccini, Halévy und Meyerbeer an; bin absolut eigenartig, ein Spekulant auf die Instinkte der Masse; Kinodramatiker; ein Mensch, »der aus Sehnsucht und Morbidezza seine Kräfte zieht«; schreibe ausschließlich homophon, meine Partituren sind gleichzeitig kontrapunktische Meisterwerke, auch »Künsteleien«, meine Musik ist rein und echt, erklügelt, ergrübelt, gesucht, ein Meer voll Wohllaut, eine gräuliche Häufung von Kakophonien, ich bin im Gegensatz zu anderen ein Reklameheld ärgster Sorte, bin »des süßen Weines voll«, »ein grandioses Dokument des Unterganges unserer Kultur«, verrückt, ein klarer berechnender Kopf, ein miserabler Dirigent, auch als Dirigent eine Persönlichkeit, ein glänzender Techniker, vermag nicht einmal meine Werke zu dirigieren (und dirigiere sie immerzu); ich bin auf jeden Fall ein »Fall« (einige werden behaupten ein böser, andere, ein »Reinfall«), ferner bin ich ein schlechter Dichter, aber ein guter Musiker, meine dichterische Begabung ist allerdings weitaus bedeutender als meine musikalische, meine Musik erwächst aus der Dichtung, meine Dichtung aus der Musik, ich bin ein Antipode Pfitzners, der einzige Nachfolger Wagners, ein Konkurrent von Strauss und Puccini, schmeichle dem Publikum, schreibe nur, um alle Leute zu ärgern und trug mich kürzlich tatsächlich mit dem Gedanken, nach - Peru auszuwandern.

Was aber - um Himmels Willen - bin ich nicht? Ich bin (noch) nicht übergeschnappt, nicht größenwahnsinnig, nicht verbittert, ich bin kein Asket, kein Stümper oder Dilettant, und ich habe noch nie eine Kritik geschrieben.

Klangphantasien

Franz Schreker über seine Musik - ein Auszug aus Meine musikdramatische Idee, veröffentlicht 1919 in den Musikblättern des Anbruch.

Klänge - welch arg missbrauchtes, vielgeschmähtes Wort! Nur ein Klang - nur Klänge! Wüssten die Nörgler, welche Ausdrucksmöglichkeiten, welch unerhörter Stimmungszauber ein Klang, ein Akkord in sich bergen kann! Schon als Knabe liebte ich es, mir einen jener »Wagner'schen« Akkorde am Klavier anzuschlagen und lauschte versunken seinem Verhallen. Wundersame Visionen wurden mir da, glühende Bilder aus musikalischen Zauberreichen. Und eine starke Sehnsucht! Der reine Klang, ohne jede motivische Beigabe, ist, mit Vorsicht gebraucht, eines der wesentlichsten musikdramatischen Ausdrucksmittel, ein Stimmungsbehelf ohnegleichen, der mehr und mehr auch von Dichtern des Wortes (Gerhart Hauptmann, Paul Claudel u.a.) in entscheidenden Augenblicken des Dramas verlangt wird. Ihn übertrifft an Wirkung vielleicht nur - die Stille.

URL: http://www.k-faktor.com/schreker/schreker3.htm | Letzte Änderung: 18.03.2005

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