Schreker war ein ausgesprochener Bühnenkomponist. Fast sein gesamtes Liedschaffen entstand bereits um 1900. Nachzügler waren lediglich "Das feurige Männlein" (1916) und die "Zwei lyrischen Gesänge" auf Texte von Walt Whitman (1926/29). Gleiches trifft auf seine Orchesterwerke zu. Seine Sinfonie in a-moll, Op. 1 (1899), das "Intermezzo für Streichorchester", Op. 8 (1900), die sinfonische Ouvertüre "Ekkehard", Op. 12 (1902/03) nach Victor Scheffels Roman sowie die "Romantische Suite", Op. 14 (1903) sind Frühwerke. In den späteren Jahren entstanden lediglich noch eine Kammersinfonie (1916), eine "Kleine Suite für Kammerorchester" (1928) und "Vier kleine Stücke für großes Orchester" (1930). Das "Vorspiel zu einer großen Oper" hingegen war als Ouvertüre zu der nicht mehr komponierten Oper "Memnon" konzipiert.
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß Schreker bis auf zwei Ausnahmen alle seine Libretti selbst geschrieben hat. Lediglich "Flammen" hat er auf den Text seiner Jugendfreundin Dora Leen komponiert und "Der Schmied von Gent" basiert auf einem fremden Stoff (Charles de Costers "Smetse Smee").
In der folgenden Tabelle ist Schrekers Opernschaffen im Überblick dargestellt:
Schrekers Bühnenwerke | |||
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Titel | Entstehung | Uraufführung | Anm. |
Anmerkungen:
| |||
Flammen | 1901/02 | Wien 1902 (konzertant) | 1 2 3) |
Der ferne Klang | 1903-1910 | Frankfurt 1912 | |
Das Spielwerk und die Prinzessin | 1908; 1909-1912 | Frankfurt/Wien 1913 | 4 5) |
Das Spielwerk | 1915 | München 1920 (B.Walter) | 6) |
Die Gezeichneten | 1911; 1913-1915 | Frankfurt 1918 | |
Der Schatzgräber | 1915-1918 | Frankfurt 1920 | |
Irrelohe | 1919-1922 | Köln 1924 (O.Klemperer) | |
Der singende Teufel | 1924; 1927-1928 | Berlin 1928 (E.Kleiber) | |
Christophorus | 1925-1927 | Freiburg 1978 | 7) |
Der Schmied von Gent | 1929-1932 | Berlin 1932 | 8) |
Schrekers Bühnenwerke weisen eine beeindruckende, bisweilen überwältigende Klangentfaltung auf. Zeigt sein Erstling "Flammen" noch deutlich die Spuren der Auseinandersetzung mit der Musik von Richard Strauss und Claude Debussy, folgt anschließend eine kurzen Phase der freien Tonalität, in der unter anderem "Der ferne Klang" entsteht. Mit den folgenden Werken findet Schreker dann zu einer einfacheren Harmonik bei gleichzeitiger Verfeinerung von Rhythmik und orchestraler Farbgebung.
"Der Schatzgräber", die bis heute populärste Schreker-Oper, ist durch eine stilistische Homogenität und Ausgewogenheit sowie eindeutig tonale (wenngleich noch hochgradig chromatische) Harmonik gekennzeichnet. Häufiger als zuvor tauchen hier einprägsame Motive und klar abgegrenzte melodische Gestalten auf, was sicherlich den Hauptgrund für die positive Aufnahme dieses Werkes selbst durch konservative Journalisten sowie das breite Publikum darstellt. Wurde die Orchestrierung von "Die Gezeichneten" noch von vielen Kritikern als überladen bezeichnet, so ist sie in "Die Schatzgräber" trotz opulenter Harmonik und Instrumentation äußerst transparent. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die anläßlich der Uraufführung im Leipziger Tageblatt erschienene Kritik:
»Und Schreker hat diesmal mehr denn ja unser Herz bezwungen. Was ist der Hauptgrund? Wohl weil er, den übereifrige Propheten seines Ruhmes gar bald im Lande des Futurismus zu erblicken scheinen, mit festen Füßen, gesunden Händen und klarstem Kopf unter uns weilt und die Melodie liebt. Dabei ist seine Musik modern im besten Sinn des Wortes, überfeinert und von guter Kultur.«
Mit "Der Schatzgräber" war Schreker plötzlich zum führenden Opernkomponisten im deutschen Sprachraum avanciert. Zusammen mit "Die Gezeichneten" und "Der ferne Klang" wurden diese drei Werke zwischen 1917 und 1921 32-mal inszeniert und mehr als 250-mal aufgeführt.
Der bekannte Musikkritiker Paul Bekker hatte mit seiner 1918 erschienenen und viel beachteten Streitschrift "Franz Schreker. Studie zur Kritik der modernen Oper" maßgeblichen Einfluß auf die allgemeine Schreker-Rezeption und insbesondere die positiven Reaktionen der Kritik auf dessen Oper "Der Schatzgräber". Schreker sei es gelungen, die verschiedenen Strömungen der Nachwagner'schen Oper zu verbinden und einen eigenständigen Operntypus zu formen. Aufkommende Kontroversen veranlaßten Bekker dann aber 2 Jahre später, sein Schreker Urteil zu präzisieren und Mißverständnisse auszuräumen, die aus seiner eigenen Begeisterung für Schreker entstanden sein mochten. Das folgende Zitat entstammt diesem, 1920 in der Baseler National-Zeitung erschienenen Artikel und charakterisiert Schreker und sein Werk wie folgt:
»Ist nun Schreker ein neuer Wagner, überflügelt er den alten, wird er ihn allmählich zurückdrängen? Sagen wir gerade heraus: nein. Wagner ist eine überragende Kulturerscheinung, eine geistige Kraft von elementarer Bedeutung. Schreker ist eine genial veranlagte Theaterbegabung, ein Musiker, der Opern schreibt, nicht mehr, nicht weniger. Eben darum, wegen dieses nicht mehr und nicht weniger, schätzen wir ihn und freuen uns seiner. [...] Das Erfrischende, Neue an Schreker ist die Naivität, mit der er seine Bühnenvisionen in sinnliche Erscheinungen umsetzt, ohne zu spekulieren, ohne sich bewusst auf ethische oder irgendwelche anderen Bekenner-Tendenzen einzustellen. Hier wird Theater gespielt, Operntheater mit allen Unwahrscheinlichkeiten, Widersprüchen, Ungereimtheiten der Oper.«
Schreker scheint von zahlreichen anderen Komponisten beeinflußt zu sein, wie Richard Strauss, Gustav Mahler, Richard Wagner, Claude Debussy. Man vermeint, viele Komponisten in seiner Musik zu hören. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch offensichtlich, daß Schreker zu einer ganz eigenen Sprache, zu seinem eigenen Klang gefunden hat.
Nahezu alle seiner Bühnenwerke sind dramaturgisch zentriert um seine spezifische Klangvision. Der weitgehende Verzicht auf die zusammenhangbildende Kraft thematischer Logik in den von ihm selbst verfaßten Libretti läßt seinen komplexen musikalischen Klangvorstellungen und seiner elaborierten Klangtechnik breiten Raum. Ausladende orchstraler Stimmgewebe und eine überaus differenzierte, zum Teil weit in den Bereich der Atonalität vordringenden Harmonik charakterisieren seine Opernkompositionen.
»Nach dem Jargon jener Jahre sagte man von Schreker mit Vorliebe, seiner Musik läge das Klangerlebnis zugrunde. Daran ist etwas Wahres. Klangideen, wie der Titel der ersten Oper sie nennt, ziehen durch sein gesamtes Œuvre sich hindurch: Das Spielwerk, die diffusen Dessins der Gezeichneten, die Laute des Schatzgräbers, schließlich noch die Orgel des Amandus im Singenden Teufel. Nicht nur bildet der Klang meist den stofflich-symbolischen Vorwurf der Opern: Auch musikalisch war er, als Einheit von Harmonie und instrumentaler Farbe, bei Schreker wichtiger als alle anderen kompositorischen Dimensionen. Ihm ordnete er, als einem Stilisationsprinzip, das Melos, den Kontrapunkt, die thematische Arbeit und die Formkonstruktion unter.«
Theodor W. Adorno (1959)
Inhaltlich kreist Schrekers Werk um die Erweiterung des Horizontes alltäglicher Erfahrungen. Vision, Traum, Märchen, Legenden dienen ihm dazu, Erlebnisse und Gefühle zu gestalten, die über die Alltagsrealität hinausreichen, gleichzeitig aber auf sie bezogen bleiben. Die Oper als "Kraftwerk der Gefühle" (Alexander Kluge) bietet Schreker die Möglichkeit, Empfindungen und Gefühle in einer extremen, nicht-alltäglichen Weise sinnfällig zu machen.
Schreker hat sich nachweislich intensiv mit Otto Weininger, dem Autor der sexualtheoretischen Abhandlung "Geschlecht und Charakter", auseinandergesetzt sowie höchstwahrscheinlich auch das Werk Sigmund Freuds gelesen. Ohne Scheu vor Tabubrüchen und Provokation thematisiert er die neuartige psychoanalytische Sicht auf Eros und Sexus in seinen Werken. Er sieht die Menschen als Triebwesen, und diesem Treibleben ist er in seinen Opern auf der Spur. Das Resultat ist eine genau konstruierte künstlerische Durchdringung der gefühlshaften Unterwelt des Alltags, die nur vordergründig als eine Flucht vor dem Alltagsleben in eine Welt der Symbole mißverstanden werden kann.
Gut geeignet für einen ersten Einblick in Schrekers Klangwelt ist die CD "Orchesterwerke" mit dem Gürzenich-Orchester Kölner Philharmoniker unter James Conlon.
Auf der 1999 veröffentlichten und mittlerweile vergriffenen CD befinden sich das "Vorspiel zu einer großen Oper" (1933) [2], "Intermezzo für Streichorchester op. 8" (1900), "Vorspiel zu einem Drama" (1913) [3] sowie die "Romantische Suite op. 14" (1903). Gerade die beiden Vorspiele, gewissermaßen die sinfonischen Nebenprodukte zweier Opern, repräsentieren Schrekers Spätstil exemplarisch.
URL: http://www.k-faktor.com/schreker/schreker2.htm | Letzte Änderung: 24.09.2006
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