Wie geht es weiter mit der Frankfurter Kulturszene? Auf den ersten Blick scheint es um Quantität und Qualität doch gar nicht so schlecht bestellt zu sein. Aber eben nur bei oberflächlicher Betrachtung. Sieht man indes genauer hin, offenbart sich, was viele "Insider" bereits seit geraumer Zeit beklagen: das Niveau sinkt, Vorhandenes wird (mutwillig) geopfert und klare Perspektiven sind längst nicht mehr erkennbar.
In den 80er Jahren spielte Geld keine Rolle. Die Kulturpolitik hatte in Hilmar Hoffmann ihren profiliertesten Fürsprecher und Frankfurt war auf dem Weg zur heimlichen Kulturhauptstadt der Republik. Vieles jedoch hat sich seither geändert. Die Schuldenlast - zum Teil auch eine Spätfolge der zu ehrgeizigen (und zu teuren!) Projekte der 80er Jahre - drückt die Stadt schwerer denn je. Und die Nachfolger Hoffmanns im Amt des Kulturdezernenten, Linda Reisch und Hans-Bernhard Nordhoff, agierten bzw. agieren unglücklich bis hilflos, nicht in der Lage, dem parteipolitischen Gezänk klare und tragfähige Konzepte entgegenzusetzen.
Die Liste der bisherigen "Opfer" einer unkoordinierten Sparpolitik ist lang und erschreckend, der Aderlass an künstlerischem und kulturpolitischem Potential besorgniserregend.
Kaspar König verließ die Städelschule, Jean-Christophe Ammann das Museum für Moderne Kunst und Christoph Vitali die Schirn.
Der Frankfurter Opernchef Sylvain Cambreling kündigte 1996 - zwei Jahre vor Vertragsablauf - vorzeitig. Unverständnis der Politiker für seine künstlerische Arbeit sowie der Streit um die weitere Finanzierung des Spielbetriebes hatten zu unüberwindlichen Meinungsverschiedenheiten geführt.
Der weltweit anerkannte Choreograph und Intendant des TAT, William Forsythe, hat - nach 18 Jahren in Frankfurt - zusammen mit seinem Ballett die Stadt 2004 vorübergehend verlassen. Vor dem Hintergrund der beschlossenen Etatkürzungen war er nicht mehr bereit, seinen 2004 auslaufenden Vertrag zu verlängern (Stellungnahme W. Forsythe vom 27.08.2002). Seine Rückkehr 2005 wurde erst ermöglicht durch eine "Public Private Partnership" zwischen den Ländern Hessen, Sachsen, den Städten Frankfurt am Main und Dresden sowie privaten Sponsoren und Förderern. Aus dem "Ballett Frankfurt" ist die "Forsythe Company" geworden und gewonnen hat letztlich nur die Stadt, die sich nach wie vor mit dem Aushängeschild "William Forsythe" schmücken kann, das allerdings für sehr viel weniger Geld …
Das TAT hat ebenfalls seine Pforten geschlossen. Der Etat des Theaters, an dem einst Peymann Handkes "Publikumsbeschimpfungen" uraufführte und Fassbinder Intendant war, wurde 2002 um eine Million Euro gekürzt und ab 2004 ganz gestrichen. Auch wenn die Spielstätte unter dem Regieteam Kühnel / Schuster nicht unbedingt mehr für künstlerische Avantgarde stand - das Experimentelle findet auf der Bühne des Mousonturms statt - so bedeutet die Schließung doch einen weiteren Schritt hin auf den in den Medien gern zitierten "kulturellen Kahlschlag".
Frankfurts Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff sieht die Lage indes nicht dramatisch; er spricht stattdessen von "Jammern auf hohem Niveau". Wer also hat Recht: die Skeptiker, die den Niedergang der Kultur voraussagen und wehklagen, oder die Politiker, die unter Hinweis auf die schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen die getroffenen Entscheidungen als maßvoll und ausgewogen bezeichnen?
Eines scheint jedoch festzustehen - die Identifikation der Frankfurter mit "ihrer" Kultur hat, wie die nur halbherzigen Proteste gegen die Sparmaßnahmen belegen, in den letzten Jahren nachgelassen. Verständlich, denn wer nur auf Zeit (beruflich) Station in einer Stadt macht, ist nicht an langfristigen Entwicklungen und Perspektiven interessiert. Und kulturelles Sponsoring muß sich für Unternehmen immer mehr rechnen. Unterhielt die frühere Hoechst AG die Jahrhunderthalle mit ihrem ambitionierten Kulturprogramm lange Jahre ausschließlich aus Imagegründen, so war der Verkauf an den Konzertveranstalter "Deutsche Entertainment AG" (DEAG) im Jahre 1999 rein wirtschaftlich motiviert. Die Folgen für das Programm waren rasch spürbar: seichte Unterhaltung an Stelle qualitativ hochwertiger Angebote sollte mehr und neues Publikum locken. Zumindest mich hat die Jahrhunderthalle dadurch als Besucher verloren.
Wie also wird es mit dem Frankfurter Kulturleben weitergehen? Einerseits sehe ich die Entwicklung mit Skepsis und Sorge, andererseits kann ich aber auch nicht in das kollektive Wehklagen einstimmen. Eines ist jedoch gewiß - die Stadt steht an einem Scheidepunkt. Ich hoffe, die Kultur bleibt nicht auf der Strecke. Und falls doch? Nun, das Rhein-Main-Gebiet besteht nicht nur aus Frankfurt. Auch die umliegenden Städte haben Interessantes zu bieten, insbesondere Darmstadt mit seinem Staatstheater. Und Konkurrenz belebt bekanntermaßen das Geschäft.
URL: http://www.k-faktor.com/frankfurt/kultur4.htm | Letzte Änderung: 20.12.2005
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